Der Begriff ist nicht neu, aber er verliert nie an Erklärungsbedarf. Für die einen ist er eine nervige Phrase aus der Mottenkiste, für die anderen ein Befreiungsschlag, denn sein Versprechen lautet:
»Mach es so, und du langweilst niemanden mehr, alle werden dir an den Lippen hängen und kaufen, was du auf diese Weise präsentierst.«
ZEIGE, STATT ZU BEHAUPTEN …
Sei direkt, statt Abstand einzunehmen. Geh nah ran, statt von oben herab zu beschreiben! Mache etwas erlebbar, statt zu berichten! Sinnlichkeit und Emotion statt Langeweile! So lässt sich »Show, donʼt tell« frei übersetzen.
Das Problem: Die wörtliche deutsche Übersetzung »Zeige, statt zu erzählen« erweckt den Eindruck, als sei das Erzählen, Beschreiben und Berichten eine Art Feind. Das stimmt aber nicht. »Show« ist eine Art des Erzählens, wie auch »Tell« eine Art des Erzählens ist. Jede Technik hat ihre Berechtigung.
KONKRETES BEISPIEL
Tell:
Nico war ein energiegeladener Typ und dementsprechend gut im Präsentieren und Verkaufen.
Show:
»Wer macht die Präsentation?«, fragte Regina.
Anna zuckte die Schultern. »Ich glaube, irgendein Nico.«
Regina pfiff durch die Zähne und lachte.
Anna runzelte die Stirn. »Was soll das denn heißen?«
»Na, dass die Sache ein Erfolg wird, was sonst?« Regina stellte ihre Aktentasche auf den Tisch und fuhr mit beiden Händen durch die Luft, als stünde jemand vor ihr. »Ach, Nico! Diese strahlend blauen Augen, was für ein Lächeln! Und dann diese sportliche Figur. Er geht immer aufrecht und sieht einem in die Augen, wenn er spricht. Und er hört wirklich zu, lässt einen immer ausreden.« Reginas Lächeln wurde breiter. »Ehrlich gesagt achte ich gar nicht immer darauf, was Nico sagt. Ich schaue ihn nur an und genieße seine tiefe Stimme. Dann denke ich mir: Rede weiter, sag was, egal was, ich sage zu allem Ja.«
Anna gab ein Schnauben von sich. »Du bist ja verknallt.«
»Pah! Wenn du ihn siehst, bist du es auch!«
Zugegeben: Das ist ein langes Beispiel, aber ich habe es absichtlich gewählt, um den Kontrast zu zeigen. Bitte nicht täuschen lassen: Solche Beispiele lassen »Show« stärker oder vorteilhafter erscheinen. Das ist aber nicht immer der Fall. Man kann nicht immer so detailliert sein, weder in kurzen noch in langen Texten.
Wir müssen zwischen direktem Auserzählen (Show) und zusammenfassender Darstellung (Tell) wechseln. Wenn man nur im Show darstellt, wirken die Texte überdreht, weil es überall nur noch sinnlich ruckelt, szenisch zischt, intensiv knistert oder dialogisch explodiert.
GEGENÜBERSTELLUNG BEIDER TECHNIKEN
Show:
- szenische Darstellung
- sinnliches Auserzählen (Einbezug ggf. aller fünf Sinne)
- Handlung in Form eines Dialogs
- nimmt mehr Platz in Anspruch
- tendenziell intensiv, bei Übertreibung überdreht
Tell:
- Beschreibungen
- Zusammenfassungen, die nur begrenzt erzählerisch wirken
- berichtendes Erzählen, Nacherzählen
- nimmt weniger Platz in Anspruch durch Zusammenfassungen
- tendenziell weniger intensiv, bei Übertreibung langweilig
»SHOW OR TELL!« STATT SHOW, »SHOW, DONʼT TELL!«
Autorinnen, Lektoren, Texterinnen und Storyteller sollten beide Techniken gut kennen. Man tauscht eine Schwäche gegen eine andere, wenn man vom beschreibenden Erzählen (Tell) zum direkten Erzählen (Show) förmlich überläuft. Das passiert oft genug. Es sollte vielmehr darum gehen, bewusst zwischen beiden Techniken wechseln zu können.
Show ist wichtig. Tell ist wichtig. Und die Bereitschaft, die Techniken zu unterscheiden und zu kombinieren: im Sinne von abwechseln. Eigentlich müsste es also heißen: »Show or tell!«
In so ziemlich allen Textarten werden die Techniken Show und Tell gebraucht: im Roman, Ratgeber, Sachbuch oder Werbetext. Wenn man verstanden hat, wie es geht, ist das erst der Anfang eines langen, aber lohnenden Trainings – und ich kann nur empfehlen, den Kontakt zu Lektorinnen und Lektoren langfristig zu pflegen. Eine Schreibberatung, ein Autorencoaching kann genau das Richtige sein, wenn man sich nicht sicher ist.
Welche Erfahrungen habt ihr mit Show or Tell gemacht?
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